landscape-X-periments

Lilli Licka, ILA, Institute of Landscape Architecture, BOKU Vienna Experimente sind Versuche. Versuchsanordnungen lassen Thesen überprüfen. Sie entstehen aus dem Drang nach Erkenntnis neuer Zusammenhänge und nach Entdeckung Methoden und Lösungen. Sie erfordern Mut zur Innovation und beinhalten die Möglichkeit des Scheiterns (aus dem neue Erkenntnisse hervorgehen.) Die Beiträge des Symposiums präsentieren experimentelle Zugänge zur Gestaltung, Benützung und Wahrnehmung von Freiräumen aus Sicht der Landschaftsarchitektur, analysieren und reflektieren sie. Die Experimente beziehen sich auf die Entwurfsmethode, auf die Umsetzung des Planungsprozesses oder auf aktionistische Interventionen. Alle Experimente entstehen aus der Notwendigkeit, auf aktuelle Bedingungen mit neuen, nämlich anderen als bisher praktizierten und theoretisch untermauerten Praktiken zu reagieren. Wir gehen der Frage nach, worin die Innovation besteht, auf welche Fragen sie tatsächlich Antworten geben kann, wie sie in den Kontext des Umgangs mit Freiraum und Landschaft zu stellen ist. Anfang der 1990er Jahre wurde die Fachdiskussion in Europa auf die Gestaltungsqualität innerstädtischer Freiräume gelenkt. Die Erneuerungswelle städtischer Freiräume in Barcelona und die darauf aufbauende design-orientierte Landschaftsarchitektur in anderen europäischen Großstädten, die gärtnerisch dominierten, hoch dotierten Grands-Projêts in Frankreich und die von der autochthonen Geschichte abgeleiteten Parkgestaltungen auf ehemaligen Brownfields sind Teile einer europäischen Entwicklung, die sich dem Abschluss zu nähern scheint. Der Umbau der Städte ist keineswegs abgeschlossen, weder physisch noch ökonomisch, noch sozial. Die Definition von Stadt an sich ist ins Wanken geraten, da die räumliche Zuordnung bestimmter Alltagsabläufe und Lebensentwürfe zum urbanen Topos nicht mehr eindeutig ist. Dieses Phänomen ist zwar nicht brandneu, es schlägt sich in zahlreichen Begriffen nieder, die seit 15 Jahren für die Hybris des räumlichen und sozioökonomischen Übergangs gefunden wurden und aktuell im Begriff „Zwischenstadt“ von Thomas Sieverts münden. (vgl. Schmid 2006: 164) Die traditionelle Kategorisierung von Freiräumen und Funktionen gibt auf diese Situation keine befriedigende Antwort. Der Kontext, in den die Gestaltungsaufgabe von Landschaft und Freiraum einzuordnen ist, ist diversifizierter, der (Stand)ort und seine Umgebung ist nicht nur als Ursprung der Bedarfe sondern auch als Ursprung von Bildern in den Hintergrund getreten. Abhandlungen zum öffentlichen Raum spiegeln seit einigen Jahren diesen Befund wieder. (vgl. Lootsma: 1997) Dies lässt sich gestalterisch aber auch in Publikationen über Landschaftsarchitektur nachvollziehen. Gestalterische Charakteristika leiten sich aus ideellen und ökonomischen Vorbildern ab, ortstypische Erscheinungsformen und Materialitäten treten in den Hintergrund. Die Holzplattform als Bodenbelag etwa wird essentieller Bestandteil der innerstädtischen Platzgestaltung in Naumur in Belgien (Atelier 4D), sie deckt den fliessenden Raum des International Port Terminals in Yokohama (Foreign Office Architects) oder die Waterfront in Geelong/Australia (Taylor Cullity, Lethlean) (vgl. Acensio 2005). Oberflächlich betrachtet findet so eine Nivellierung der charakteristischen Ausprägung örtlicher Erscheinungsbilder statt. Des weiteren zeichnet sich eine stärkere Beschäftigung mit dem sozialen Umfeld von Gestaltung ab. Soziale Anforderungen und Auswirkungen der urbanen und suburbanen Bau- und Abbautätigkeit finden Eingang in aktuelle Diskussionen. Der sozioökonomische Rahmen, in dem sich Gestaltung abspielt und auswirkt, wird wieder als Teil des gesamten Planungsprozesses interpretiert, er darf wieder erforscht und hinterfragt werden. Die Themen von Publikationen, Ausstellungen, Veranstaltungen spiegeln diese Entwicklung wieder. Nach der teils schwermütigen Nachhaltigkeitsdebatte der 1980er Jahre war die Frage nach der guten Form salonfähig geworden. Heute wird vor dem drohenden Rückzug öffentlicher Verantwortung aus dem öffentlichen Raum und der zunehmenden sozialen Schieflage konstatiert, dass sie zu kurz greift. Neue Stadtteile werden „Sociopolis“ genannt, Beteiligungsverfahren und kooperative, breit angelegte Planungsprozesse nehmen einen großen Raum ein. Dem budgetären Schwund für die Umsetzung öffentlicher Freiräume wird auf der Ebene der politischen und gesellschaftlichen Aktion begegnet. Bewusstseinsbildende Maßnahmen für Fachleute und EntscheidungsträgerInnen sind wieder an der Tagesordnung. Projekte der Landschaftsarchitektur sind immer in ein komplexes Wirkungsgefüge eingebettet. Potentiale von Naturraum und Umgebung, Historie, Politik, und Ansprüche an den Freiraum stellen ein multifaktorielles System dar. Eine lineare Versuchsanordnung ist daher nicht zielführend. Dennoch wird experimentiert, werden vor allem auf methodischer Ebene neue Konzepte erforscht und erprobt. In diesem Zusammenhang ist das Phänomen der Auflösung methodischer Grenzen zu beobachten. Die Überlagerung unterschiedlicher Fragestellungen im Freiraum führt zu einer Vielfalt an Ansätzen und Planungsmethoden, die nicht wie verschiedene „Schulen“ der Landschaftsarchitektur nebeneinander existieren. Sie werden kombiniert, ihre Ausschließlichkeit hat sich aufgelöst. Der Methodenmix war seit der Ablöse der Landschaftsarchitektur von der Ausschließlichkeit der naturwissenschaftlichen Forschung (im deutschsprachigen Raum „nach Buchwald-Engelhardt“) und der Anreicherung mit sozial- und geisteswissenschaftlichen Methoden in Theorie und Praxis präsent. Dieser Mix wird nun mit gestalterisch-offensiven, experimentellen Methoden ergänzt. „Untersuchung“ und „Forschung“ liegen immer näher beieinander. Die Frage, welche Untersuchungsmethoden im Planungsprozess einerseits und in der Theoriebildung andererseits zulässig sind, wird dahingehend beantwortet, dass die Methode bewusst eingesetzt, nachvollziehbar ist und selbstreflexive Prüfinstrumente enthält. Experimentelle Ansätze weichen dogmatische und disziplinäre Grenzen auf. Junge Büros sind zumeist von vornherein aus mehreren Disziplinen zusammengesetzt. Bei Le Balto etwa sind Landschaftsarchitektur und Stadtplanung unter einem Dach. Bei MA2 sind künstlerische Ansätze mit Architektur und Landschaftsarchitektur verknüpft, auch Artgineering arbeiten innerhalb ihres Büros interdisziplinär. Experimentelle Lösungsansätze knüpfen an unterschiedlichen Stellen an:

  • Begrifflichkeiten und Zuordnungen werden neu interpretiert. Stadt-Land wird nicht nur als phänomenologische Definition aufgehoben. Der Landschaft kommt in neuen Ansätzen eine strukturierende Bedeutung zu, Landschaftliche Großräume rücken stärker ins Bewusstsein. Die Sammlung von Fachbeiträgen zur Interpretation des öffentlichen Freiraumes und landschaftsarchitektonischer Ansätze, die Arielle Masboungi herausgegeben hat, drückt dies in ihrem Titel aus: „Penser la ville par le paysage“ (Masboungi 2001) aus. Im Wiener Stadtentwicklungsplan hat die Stadtplanungsabteilung ebenfalls die Landschaftsräume als Bezugseinheiten für die weitere Entwicklung und gestalterische Ausprägung der Stadt definiert. (STEP 2005). Frank LOHRBERG befasst sich darüber hinaus mit der gestalterischen Funktion der Stadtlandwirtschaft zur Schaffung und Erhaltung von Erholungsräumen. Gary DOHERTY versucht über die Definition von „landscape as urbanism“ die Ableitung von urbanen Entwicklungskonzepten aus Analyseergebnissen der Landschaft zu begründen.
  • Handlungsansätze und Handlungsspielräume werden für jene Phänomene gesucht, für die traditionelle Planungsansätze nicht greifen. MA2, LE BALTO und ARTGINEERING bemühen sich auf unterschiedliche Weise um die Initiation von Aneignungsprozessen. Aneignung kann als erster Schritt fungieren, Freiräume im doppelten Wortsinn herzustellen, sie zugänglich zu machen. Über aktionistische Eingriffe wird der Umgang mit Freiräumen bewusst gemacht, eine Veränderung der Interpretation vorgenommen.
  • Theorie und Konzept stehen der praktischen Umsetzung nicht nur gegenüber, sie werden integriert. Performative, qualitative Methoden können sowie spekulative Szenarien als Gestaltungskatalysatoren fungieren (vgl. LICKA: 2006). Der experimentelle Ansatz deckt projektimmanente Fehlerquellen auf. KARRES en BRANDS gehen in ihren Entwurfsprozessen bewusst Risken ein, um auftretende Fehler korrigieren zu können. Die Komplexität der Landschaftszusammenhänge wird so zu einem methodischen Werkzeug entwickelt, das die eingangs erwähnte Funktion der Versuchsanordnung erfüllt. Die damit verbundene Unvorhersehbarkeit wird, neben anderen Phänomenen von Martin PROMINSKI untersucht, der die Komplexität in den theoretischen Rahmen der Landschaftstheorie von J.B.Jackson stellt.

LITERATUR Asensio, Paco (ed.): Ultimate Landscape Design, Kempen 2005 Licka, Lilli: In:Zwischen, von bebauter und unbebauter Landschaft, in: In:Zwischen, Institut
für Landschaftsarchitektur und Raumplanungsabteilung des Landes Vorarlberg (Hrsg.),
Bregenz Wien 2006, S. 6 - 10 Lootsma, Bart: Der öffentliche Raum in Bewegung, in : daidalos 67, Bertelsmann Berlin
[u.a.] 1997, S. 116 - 123 Masboungi, Ariella: Penser la ville par le paysage, Projet Urbain, La vilette 2001 Schmid, Christian: „Netzwerke – Grenzen – Differenzen: Auf dem Weg zu einer Theorie des Urbanen.“ In: Diener, Roger et.al. Die Schweiz, ein städtebauliches Portrait Buch 1, Basel-Boston Berlin, 2006, p.163-221 Stadtentwicklung Wien (Hrsg.): STEP 05 - Stadtentwicklung Wien 2005, 2005